Bohren mit dem Bettschlitten und Schnellwechselhalter
Allgemeines
Die Idee ist, ein Bohrfutter im Schnellwechselhalter der Drehmaschine zu haben – In Verbindung mit einer Digitalanzeige und hinterlegten Koordinaten kann man das Bohrfutter in Sekundenschnelle auf Mitte fahren und die Bohrbearbeitung durchführen.
Die Vorteile liegen eigentlich auf der Hand:
- Die meisten Maschinen im Jahr 2023 haben eine Digitalanzeige und Wegmesssystem am Bett- und Planschlitten, aber nicht am Reitstock – Damit ist mit dem Bettschlitten ein Präzises Bohren und Senken auf eine präzise Tiefe einfach möglich.
- Der Wechsel von Dreh- auf Bohrbearbeitung und zurück ist sehr schnell, oft schneller als den Reitstock in den Arbeitsbereich zu ziehen und wieder weg zu schieben.
- Beim Tieflochbohren hat man die Möglichkeit mit dem Bettschlittenhandrad den Bohrer sehr zügig zu entspanen (20mm und mehr pro Handradumdrehung, je nach Drehmaschine), gegenüber einem konventionellen Kurbelreitstock der vll. 2…5mm Vorschub pro Kurbelumdrehung erzeugt.
- Die Feinfühligkeit für kleine Bohrer ist dramatisch besser als mit einem Kurbelreitstock, eine Feinbohrhilfe ist meistens unnötig (Natürlich nur bis zu einer gewissen Maschinengröße – Auf meiner Emco Super 11 kann ich problemlos Durchmesser 0,3mm direkt mit dem Bettschlitten bohren, auf einer Weiler Condor mit ihrem deutlich schwereren Bettschlitten ist das vermutlich in der Form nicht mehr möglich)
- Die Möglichkeit mit Maschinenvorschub zu bohren/reiben
Wo Vorteile sind, gibt es natürlich auch Nachteile:
- Wenn man einen Oberschlitten auf der Maschine hat, steht der Schnellwechselhalter möglicherweise nicht in Linie mit der Z-Achse der Drehmaschine. Im Idealfall hat man keinen Oberschlitten auf der Maschine und der Schnellwechselhalter ist ausgerichtet und verstiftet. (Das würde mich direkt dazu bringen, warum man seinen Oberschlitten von der Drehmaschine runterwerfen sollte. Zum Glück hat Robin Renzetti dazu ein ausführliches Video veröffentlicht: THE SOLID TOOL POST MOUNT)
- Die Krafteinleitung in den Bettschlitten bzw. die Belastung für das Vorschubritzel bei großen Bohrern ist nicht zu unterschätzen.
Ein Argument, das oft angebracht wird, ist der Aufwand, den das präzise Zentrieren des Bohrfutters im Schnellwechselhalter zur Spindel erfordert. Allerdings gibt es ein kleines Geheimnis was die Kombination von Reitstock und Bohrfutter angeht:
Die beiden sind praktisch nie perfekt ausgerichtet. Das sieht man sehr gut, wenn man beim Bohren sehr genau beobachtet, was ein Bohrer macht, in welche Richtung er sich beim Eintritt in die Zentrierung verbiegt. Der Grund dafür ist der Rundlauffehler des Bohrfutters. Auch ein Bohrfutter das still steht hat einen Fehler – Was in einem Bohrer resultiert, der nicht genau in Linie zur Maschinenspindel liegt, selbst wenn der Reitstock selbst perfekt ausgerichtet ist. Und das Beste daran ist: Je nach Bohrfutterqualität kann und wird sich der Versatz je nach gespanntem Durchmesser ändern.
Wenn man mit der Kombination Bettschlitten und Schnellwechselhalter bohrt, kann man das durch die Höhenverstellung des Schnellwechselhalters und dem Planschlitten sehr leicht korrigieren. Beim Reitstock hat man maximal eine Korrektur in Querrichtung, die allerdings meistens etwas umständlich mit Zug/Druckschrauben ausgeführt ist. Eine Höheverstellung bzw. Korrektur ist quasi nie vorgesehen, außer beispielsweise bei Schaublin, die einen Reitstock mit Schräger Trennebene haben, um die Höhe beeinflussen zu können.
Verschiedene Werkzeugoptionen für Bohrarbeiten mit dem Bettschlitten
Für die meisten Schnellwechselsysteme wie Multifix, Aloris oder Tripan gibt es Bohrstangenhalter mit einer zylindrischen Bohrung – In diesen können z.B. Morsekegelhülsen aufgenommen werden, um normale Bohrfutter mit Morsekegelschaft zu spannen. Alternativ können auch ER-Spannzangenfutter mit zylindrischem Schaft eingesetzt werden.
Ferner können auch andere Werkzeuge oder Spannmittel mit zylindrischem Schaft verwendet werden, z.B. Pendelhalter für Reibahlen, Wendeplattenbohrer oder auch Schneideisenhalter für Außengewinde.
Praktisch jedes Werkzeug, das im Reitstock eingesetzt wird (Mit der Ausnahme von Zentrierspitzen, hier ist ein Einsatz im Bettschlitten nicht sinnvoll.) kann auch auf dem Bettschlitten eingesetzt werden.
Zwei Bohrfutteroptionen: Einmal ein 0-6mm Albrecht Bohrfutter in einer MK2 Reduzierhülse, das andere ist ein 0-8mm Zahnkranzbohrfutter, in einen Bohrstangenhalter integriert (Eigenbaulösung), für extrem kurzen Überhang.
Die Betätigung des Zahnkranzbohrfutters erfolgt durch eine Ausfräsung im Bohrstangenhalter.
Alternativ lässt sich auch ein Pendelhalter mit 30mm Schaft einsetzen, um beim Arbeiten mit Reibahlen minimale Fluchtfehler auszugleichen.
Ferner lassen sich auch Außengewinde herstellen, mit einem Schneideisenhalter, der im Bohrstangenhalter gespannt wird.
Mit einem passendem Adapter lassen sich auch Kernbohrer einsetzen, die das Herstellen von große Bohrungen mit relativ geringer Vorschubkraft und Spindelleistung erlauben.
Selbst auf einer leichten konventionellen Drehmaschine wie der Emco Super 11 Wendeplattenbohrer (hier: 19mm Durchmesser) einsetzen, um schnell viel Material zu entfernen.
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Anwendungsbeispiele
40mm Kernbohrer beim bearbeiten von rostfreiem Stahl 1.4301.
Pyramidenzentrierbohrer im Einsatz.
Auch kleine Bohrer wie dieser 0,6mm Vollhartmetallbohrer sind problemlos auf diesem Weg einsetzbar, eine separate Feinbohreinrichtung ist nicht notwendig.
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